Bericht des Professors Wolfgang Weitschat (Geologisch-Paläontologisches Institut der Universität Hamburg)

Im Bernstein eingeschlossene Fossilien nennt man Inklusen. Die Einbettung von pflanzlichen und tierischen Organismen im Baumharz gilt als einzigartiges Naturphänomen. Wie ein gläserner Sarg umschließt das fossile Harz Jahrmillionen alte Lebewesen und erlaubt die dreidimensionale Beobachtung ihrer feinsten Strukturen. Inklusen unterscheiden sich von anderen Fossilien dadurch, dass die Organismen meist lebend in das klebrige Harz gerieten. Es entsteht so der Eindruck einer  Momentaufnahme des bewegten Lebens und zwar der letzten Sekunden.

Der bei weitem größte Anteil der Inklusen wird in den Schlauben gefunden. Die klebrigen Harzflächen wirken wie ein Fliegenfänger. Die Mehrzahl der Inklusen ist auf den Schichtgrenzen der einzelnen Harzflüsse zu finden. Etwa 30% der Schlauben enthalten Einschlüsse.

In vielerlei Hinsicht sind Inklusen anders als die übrigen Fossilen. Wer würde schon auf die Idee kommen, ein im Bernstein eingeschlossenes Insekt als „Versteinerung“ zu bezeichnen? In früheren Zeiten hat es sicher nicht an Versuchen gefehlt, ein auf so wunderbare Weise konserviertes Insekt aus dem Harz herauszulösen. Wie groß muß jedoch die Enttäuschung gewesen sein, als man feststellte, das dies zum vollständigen Zerfall des Einschlusses führte. Der Grund dafür ist, dass es sich bei Bernsteininklusen prinzipiell nur um dünn ausgekleidete Hohlräume handelt. Erhalten ist lediglich die widerstandsfähige und schwer zersetzbare Chitinhülle, innen sind Inklusen, abgesehen von wenigen Ausnahmen, hohl. Trotz dieses wenig günstig erscheinenden Umstandes ist die Harzkonservierung bezüglich der Erhaltung von Feinstrukturen und Beobachtungsmöglichkeiten einzigartig in der Paläontologie. Die Art der Fossilisation erlaubt es, Strukturen bis zur Auflösungsgrenze des Lichtmikroskopes zu untersuchen.

Mit Ausnahme von winzigen Eichenblütenhärchen sind pflanzliche Einschlüsse, insbesondere größere Pflanzenteile, im Baltischen Bernstein ausgesprochen selten. Unter 1000 Inklusen findet sich  durchschnittlich lediglich eine einzige pflanzlicher Natur. Sicherlich ist die Möglichkeit der Überlieferung von Pflanzen oder Pflanzenteilen schon dadurch stark eingeschränkt, dass sie nur passiv, etwa durch den Wind, mit dem klebrigen Harz in Berührung kommen konnten. Dies gilt insbesondere für Pflanzen, die nicht in unmittelbarer Nähe der harzenden Bäume wuchsen.

Neben Pilzen, Flechten, Moosen und Farnen findet sich eine Anzahl von Samenpflanzen. Unter den Nacktsamern überwiegen Bernsteinkiefern und Zypressengewächse. Von reichen Laubwaldbeständen  zeugen Funde immergrüner Eichen, von Buchen, Kastanien, Ulmen, Weiden und Ahorn. Daneben wuchsen Zimtbäume, Magnolien und Palmen. Diese für nördliche Breiten fremdartige Zusammensetzung ist durch das damals deutlich wärmere Klima zu erklären.

Die uns im Baltischen Bernstein überlieferte Tierwelt gehört fast ausschließlich zu den Arthropoden (Gliedertiere), von diesen sind Krebstiere, Tausendfüsser, Spinnentiere und Insekten vertreten. Insekten und Spinnentiere bilden mit zusammen fast 99% den Hauptanteil. Einschlüsse von Vertretern weiterer Tierstämme (Würmer, Weichtiere, Wirbeltiere) sind selten und z. T. nur durch einige wenige Einzelfunde belegt. Insgesamt sind bisher aus dem Baltischen Bernstein über 3500 Arten bekannt, von denen wir häufig alle Entwicklungsstufen – Eier, Raupen, Larven und die adulten Tiere – kennen.

Von den Spinnentieren (Arachnida) sind im Baltischen Bernstein Skorpione, Moosskorpione, Weberknechte, Milben und insbesondere die Web- oder echten Spinnen vertreten.

Skorpione sind ausgesprochen selten. Wir kennen bisher nur 11 Arten. Ihre Merkmale weisen auf enge verwandtschaftliche Beziehungen zu den heutigen Skorpionen hin.

Von den weiteren Spinnentieren sind die Milben mit bisher 100 Arten und die echten Spinnen mit 580 Arten die mit Abstand häufigsten Tiergruppen. Einschlüsse von Spinnen sind im Baltischen Bernstein ebenso häufig wie Ameisen, Käfer, Fliegen und Mücken. Sie kommen häufig als erwachsene Tiere vor, aber ebenso zahlreich als Jungtiere. Insgesamt machen Spinnen etwa 9% der gesamten Einschlüsse aus. Gar nicht selten sind auch ihre Netze oder Netzreste im Bernstein zu finden, z. T. sogar mit Inhalt. In der Regel sind dies „eingefangene“ Eichenblütenhärchen oder kleine Holzstückchen. Sehr selten kann man sogar ein oder mehrere gefangene Opfer der Spinne darin entdecken. Die Spinnen bewohnten vor allem die Oberflächen von Baumrinden. Die fossilen Spinnen geben Einblicke in die klimatischen Verhältnisse des Bernsteinwaldes. Viele der im Bernsteinwald vorkommenden Arten leben heute in tropischen Regionen.

In der Inklusensammlung von Kazimieras Mizgiris‘ „Bernsteingalerie – Museum“ hat der Wissenschaftler Jörg Wunderlich eine bisher nicht bekannte Art einer männlichen Jagdspinne im Baltischen Bernstein entdeckt. Er gab der Spinne den Namen des Besitzers: „Sosybius Mizgirisi“.

Insekten bilden mit 90% die mit großem Abstand häufigste Tiergruppe im Baltischen Benstein; das betrifft sowohl die überlieferte Individuenfülle als auch die Anzahl  der Gattungen und Arten. Man unterscheidet bei den Insekten die flügellosen sogenannten Ur-Insekten von den geflügelten Insekten,  die in sehr großer Formenvielfalt vorhanden sind. Die Ordnung der Zweiflügler (Fliegen und Mücken) ist die häufigste Tiergruppe. Sie machen 45% der gesamten Individuen des Baltischen Bernsteins aus. Wir kennen bereits 74 Familien mit etwa 800 Arten. Zwei weitere sehr artenreiche Ordnungen  repräsentieren  die Hautflügler (Ameisen und Kleinwespen) mit etwa 450 Arten sowie  die Käfer mit 140 Arten.

Ganz im Gegensatz zu diesen häufigen Vorkommen steht die Ordnung der Flöhe. Wir kennen bisher lediglich sechs Funde, die sich auf vier Arten verteilen. Für die breite Öffentlichkeit war der erste, 1910 gefundene Floh eine kleine Sensation. Die Aufmerksamkeit für Flöhe war damals weit größer als heute und fand dementsprechend auch Eingang in die aktuelle Tagespresse.

Einschlüsse vom Stamm der Wirbeltiere gehören ebenfalls zu den Raritäten im Baltischen Bernstein. Von den Reptilien sind bisher etwa sechs Eidechsen und ein Gecko gefunden worden. Eine 71 Millimeter lange Eidechse kann man in dem Kunstzentrum des Baltischen Bernsteins in Vilnius sehen. In der Regel kamen diese Tiere tot in das Harz und sind meist nicht vollständig erhalten.

Von den beiden weiteren Wirbeltiergruppen kennen wir Vogelfedern (Dunenfedern und Konturfedern) und Haarbüschel von Säugetieren, wobei Vogelfedern deutlich seltener als Säugetierehaare sind. Ein einzigartiges Bernsteinstück mit dem Vogelfeder ist in dem Bernsteingalerie – Museum (Nida) ausgestellt.

Selbstverständlich gibt uns eine prozentuale Zusammensetzung keinen vollständigen Querschnitt über das tierische Leben im Baltischen Bernsteinwald. Bevorzugt gingen kleine und fliegende Tiere, die sich nicht mehr aus dem glänzenden klebrigen Harz befreien konnten, auf den Leim. Es ist anzunehmen, dass diese Tiere, insbesondere die Zweiflügler, die Harzfalle vorwiegend aktiv angeflogen sind. Denkbar wäre, dass die leuchtend gelben Harzflächen als „Lichtfallen“ wirkten und zusammen mit dem Duft des frischen Harzes einen „Fliegenfängereffekt“ hatten.