Seit wann haben Menschen den Bernstein als Schmuckstück oder als Amulett im Glauben an seine magischen Kräften verwendet? Man kann es nur vermuten. Es ist bekannt, dass Bernstein mit Messern aus Feuerstein bearbeitet und mit steinernen Wetzsteinen oder Sand abgeschliffen wurde. Das älteste bekannte Erzeugnis aus Bernstein wurde am Ende des Paläolitikums vor etwa 8.000 Jahren v. Chr. geschaffen. Es handelt sich dabei um eine Bernsteinplatte, die in einem Lager von Rentierjägern in der Nähe von Hamburg gefunden wurde. Viele europäische Museen besitzen Beispiele altertümlicher Bernsteinerzeugnisse. Die Bernsteinschmuckstücke und andere Erzeugnisse aus verschiedenen Zeitabschnitten der frühen Geschichte (angefangen vom Neolitikum bis heute) zeugen von der großen Beliebtheit des Bernsteins und seiner häufigen Verwendung in der angewandten dekorativen Kunst.

Die ältesten Bernsteinerzeugnisse von der litauischen Küste (Šventoji, Juodkrantė, Nida, Pervalka, Klaipėda) stammen aus dem Neolitikum (4000–2000 Jahre v. Chr.). Dabei handelt es sich um verschiedenen Formen bearbeiteter Bernsteinanhänger, mit einem Loch an einer Seite, röhrenförmige oder andere Kugelketten, Knöpfchen in verschiedenen Formen mit einem in V-Form geformtem Loch, verzierte Rollen, Gliederteile mit großen Löchern, Menschen- und Tierfiguren, die vermutlich als Amulette dienten. Deren Oberflächen wurden mit Punkten oder Strichen verziert. Sie unterteilten damit die Artefakte in Segmente, welche die Vorstellung von der damaligen Welt widerspiegelten. Mitte des Neolithikums wurde in Osteuropa Bernstein gegen andere Waren eingetauscht. Bernsteinerzeugnisse aus der Bronzezeit oder der frühen Eisenzeit sind seltener. Im ersten Jahrhundert unserer Zeit wurde viel Bernstein nach Rom exportiert, wo es sogar eine Bernsteinwerkstatt gab.

In der Blütezeit der Römischen Republik schufen Künstler Bernsteinskulpturen und Porträts, die die gleiche Qualität besaßen wie die traditionellen Skulpturen aus Marmor oder aus Terrakotta dieser Zeit. Die Künstler verwendeten den Bernstein für ihre Skulpturen aber mutiger und plastischer. In dieser Zeit waren Bernsteinringe mit virtuos bearbeiteten Motiven von Frauenköpfen, von Amor und Psyche sehr populär. Es wurden jedoch auch Ringe gefunden, die keine Verzierung hatten. Aus dieser Zeit kennen wir auch kleine Amphoren und Flaschen, Löffel, Kämme, Lampen und andere Gegenstände aus Bernstein. Da Bernstein relativ zerbrechlich ist, gibt es Zweifel, ob die Römer diese Stücke tatsächlich nach ihrem bestimmten Zweck verwendeten.

In Litauen findet man Bernsteinerzeugnisse vorwiegend in den Gräbern des 5. bis 12. Jh. Eine grosse Anzahl der Produkte zeugt davon, dass dieses Material populär war und von unseren Vorfahren oft als Heilmittel, zu magischen Zwecken und als Schmuckstück verwendet wurde. Gelber Bernstein war besonders beliebt. Er wurde mit Kugeln aus Glas und Glasschmelzen kombiniert. Mit gelbem Bernstein wurden auch Spiralen aus Bronze verziert, sowie Kugelketten und runde Scheiben hergestellt, die unter den Brautschleier gelegt wurden. Auch Alltags- und Gebrauchsgegenstände (kleine Kämme, Werkzeuge zum Weben) bestehen vorwiegend aus gelbem Bernstein. Im 14. Jh. wurden Werkstätten für Bernsteinbearbeitung in Deutschland, Polen, Lettland und Litauen eingerichtet. Die Produktion von Bernsteinerzeugnissen ließ im 13. und 14. Jh. wegen der Auseinandersetzungen mit den Kreuzrittern stark nach.

Vom 14. bis 18. Jh. fanden sich in Litauen neben den im Land produzierten Erzeugnissen auch importierte Waren, wie etwa mit Bernstein verzierte Möbel, Spiegel, Kästchen, Gefäße, Gebrauchsgegenstände des Gottesdienstes (Kreuze, Rosenkränze, Kruzifixe, kleine Altäre).

Im frühen Mittelalter wurde Bernstein vorrangig für religiöse Zwecke verwendet. Aus Bernstein wurden Kreuze und Rosenkränze hergestellt. Bei der künstlerischen Bearbeitung spielte der Wunsch der Fürsten oder Edelleute eine große Rolle, besonders kunstvoll bearbeitete Werke zu erwerben. Im17. und 18. Jh. erlebte die künstlerische Bearbeitung des Bernsteins ihre Blütezeit. Die Künstler konnten den Bernstein schon drechseln, schneiden, schnitzen, schleifen und sogar bereits die Farbe des Bernsteins verändern. In dieser Zeit wurden Paläste und Kirchen mit Bernsteinprodukten verziert. Bernsteinerzeugnisse gehörten zu den populärsten Geschenken während diplomatischer Besuche. Ein großer Teil der berühmtesten Bernsteinwerke wurde in Danzig hergestellt. Dazu gehören die Krone des polnischen Königs Jonas III. Sobieski, die aus einem einzigen Bernstein geschnitzt war, ein dem König Vladislov IV. geschenktes Kriegsschiff aus Bernstein und andere Schätze. Auf der Inventarliste des Waffenpalastes im Moskauer Kreml wird ein Bernsteinbecher erwähnt, den der Gesandte Stanislovas Vienevskis vom Hof des litauischen Großfürsten im Jahre 1648 dem Zaren Alexej Michailovitsch zum Geschenk machte. Man vermutet, dass auch dieser Becher aus einem einzigen Stück gefertigt war. In dieser Zeit blühte die Rundplastik bei Skulpturen und Reliefs: Es entstanden Statuen der mythologischen Welt, Heiligenfiguren, Medaillons mit Reliefporträts des Feudalherren. Im 18. Jh. wurde die Kunst der Mosaike aus Bernstein entwickelt. Das größte Denkmal dieser Art ist das berühmte Bernsteinzimmer in St. Petersburg. Die Mosaike der Wände des Bernsteinzimmers wurden in der Tradition der Möbelverzierung gestaltet, die schon im 17. Jh. herrschte. Verschiedene hölzerne Möbel waren professionell mit Bernsteinmosaiken verziert. In den Palästen des reichen Adels hingen Spiegel mit Bernsteinrahmen. Die Mitglieder der Gilden erreichten eine hohe technische und künstlerische Meisterschaft. Sie dekorierten prachtvolle Schatullen für Schmuckstücke oder andere aufzubewahrende Dinge mit Bernstein. Die Goldschmiede des 17. und 18. Jh. liebten es, silberne und goldene Gefäße, Pokale, Becher und Tabletts mit Bernstein zu verzieren. Bernsteinmotive wurden auch erfolgreich an Metallleuchter, Kerzenständer, Kronleuchter und Kandelaber angepasst. Einen besonderen Eindruck machte nicht nur der Bernstein selbst, sondern auch Flaschen, Pudergefäße, Tabakdosen und Kästchen aller Art, die mit Bernstein verziert waren.

Im 19. Jahrhundert begann man, den Bernstein maschinell zu bearbeiten, in der angewandten Kunst wurde er seltener verwendet. Aus Bernstein wurden häufig Schmuckstücke und Souvenirs hergestellt. Man kehrte wieder zur Tradition der Funktionalität zurück, die in früheren Zeiten geherrscht hatte.

Vor dem Ersten Weltkrieg bearbeiteten die Künstler aus Palanga etwa 20.000 Kilo Bernstein jährlich. In diesem Wirtschaftszweig waren 300 bis 500 Arbeiter tätig, außerdem gab es noch viele einzelne Handwerker. Die Schmuckstücke, Zigarettenspitzen, Kästchen, Kreuze, Rosenkränze, die sie produzierten, waren echte Handarbeit. Die Erzeugnisse der Bernsteinhandwerker aus Palanga erfuhren eine große Nachfrage auf dem internationalen Markt und sie konkurrierten erfolgreich mit Erzeugnissen, die in Deutschland produziert wurden. Die Bernsteinarbeiten aus Palanga wurden jedes Jahr auf der Messe in Odessa ausgestellt, die drei Monate lang dauerte und von Kaufleuten aus aller Welt besucht wurde.

Während des Ersten Weltkriegs wurde die Bernsteinbearbeitungs-Werkstatt in Palanga zerstört. Einige bekanntere Handwerker zogen nach Königsberg, das damals zu Deutschland gehörte.

Ein Hindernis für die Entwicklung der einheimischen Bernsteinbearbeitungs-Industrie war der Mangel an Rohstoff und die Abhängigkeit von Deutschland. Deutschland besaß das Bernsteinmonopol und dachte nur an sein eigenes Interesse beim Verkauf des Bernsteins. Die Bernsteinindustrie der Vorkriegszeit in Litauen war wenig entwickelt und konnte nicht mit Deutschland konkurrieren. In der Zeit zwischen den Kriegen wurden in der Bernsteinwerkstatt kleinere Schmuckstücke (Broschen, Ketten, Armbänder) sowie Manschettenknöpfe, Zigarettenspitzen, Federhalter und Tintenfässer produziert; es wurden auch wieder Schmuckstücke aus Metall, hölzerne Kästchen, Möbel und andere Gegenstände mit Bernstein verziert. Die Bearbeitung war klassisch und nicht ausgefallen. Meistens waren es lange Kugelketten, Broschen aus geschliffenem Bernstein, traditionelle Armbänder. Die Bernsteinerzeugnisse wurden neben anderen Erzeugnissen der litauischen Handwerker auf den internationalen Ausstellungen in Paris und New York in den Jahren 1937 und 1939, so wie auch im Jahre 1937 auf der internationalen Ausstellung des Handwerks in Berlin vorgestellt. Den größten Anteil des Bernsteinexports bildeten Ketten, Zigarettenspitzen, Broschen, Manschettenknöpfe verschiedener Ausführung. Kugelketten wurden besonders nach Afrika und Asien exportiert, alle andere Gegenstände eher nach Finnland, Schweden, Holland und Frankreich.

Der Zweite Weltkrieg unterbrach ein weiteres Mal die Entwicklung der Bernsteinbearbeitung in Litauen, aber schon ab Mitte des 20. Jh. nahm diese wieder einen wichtigen Platz unter den anderen Produkten des Kunsthandwerks ein. Da wurden bereits bis zu sechzig verschiedene Gegenstände hergestellt: Meistens waren es geschliffene Kugelketten, Souvenirs in der Form von Pflanzen oder Tieren und Broschen. Bernstein  wurde wie ein Edelstein bearbeitet; Bernsteine mit Einschlüssen oder einer interessanten Struktur wurden nicht geschätzt. Sie passten nicht zu den neuen Trends.

Ab 1957 kamen neue Methoden in der Bernsteinbearbeitung auf. Sie eröffneten die Möglichkeit, den Bernstein und seine Eigenschaften maximal zu nutzen. Es wurden moderne Technologien angewendet. Wenn früher die Abfälle bei der Herstellung einer Kugelkette nicht weniger als 70% betrugen, so wurden die Verluste mit Hilfe der neuen Technologien wesentlich geringer. Der Bildhauer und Designer Feliksas Daukantas war der erste, der über die Betonung der natürlichen Eigenschaften des Bernsteins, die Vielfalt der Farben und die Mehrschichtigkeit des Materials sprach. Er tat viel, um den Wert des Baltischen Bernsteins zu vergrößern. Um gegen Stereotypen zu kämpfen, begann er die sogenannte negative Schnitzerei: er gravierte auf der Rückseite des Bernsteins verschiedene Motive und sogar Landschaften. Diese Etappe, die dem Künstler selbst zuwider war, brachte ihn zu einer Darstellungsart, bei der das Bernsteinstück selbst ein Unikat war. Der Künstler passte seine spezifische Art des Schleifens der Naturform an: das Bernsteinstück wurde in der Form geschliffen, wie es die Natur geschaffen hatte. Er schliff den Bernstein nicht vollständig ab, sondern ließ ungeschliffene Stellen stehen, Löcher und nur matt bearbeitete Oberflächen.

Die weitere Entwicklung der Bearbeiteung von Bernstein wurde durch das Schaffen von Kazimieras Simanonis (Absolvent der Estländischen Kunstakademie) beeinflußt. Seine Konzeption des Schmuckstückes war unterschiedlich von F. Daukantas´ Konzeption. F. Daukantas betonte die Askese der Form, demokratische Tendenzen, die Möglichkeiten der Vereinheitlichung von Metalldetails. K. Simanonis betrachtete das Bernsteinschmuckstück als Objekt des Luxus und der Repräsentation. Seiner Meinung nach wurde Bernsteinschmuck nur während besonderer Anlässe getragen. Der Künstler belebte die Schnitzerei wieder, die Verzierung, das Filigrane und Technologien des geschmolzenen Silbers, die besonders gut zu der unregelmäßigen Form des Bernsteins passten.

In den Jahren 1975-1989 herrschte in der angewandten Kunst der Postmodernismus vor. Für die Darstellung postmoderner Ideen wurden häufig alle Arten von Halbedelsteinen verwendet. Der Bernstein war für die Kunstrichtung, in der die Künstler aus relativ billigen Stoffen langlebige Werke schufen, nicht geeignet. Sie ignorierten ganz einfach die Eigenschaften des Bernsteins.

Erst am Ende des 20. Jh. entschieden sich besorgte Enthusiasten dafür, die geringe Aufmerksamkeit für den Bernstein zu beleben. Im Jahre 1990 wurde eine Ausstellung für Bernsteinerzeugnisse im Museum der Angewandten Kunst in Vilnius eröffnet. Virginija und Kazimieras Mizgiris gründeten im Jahre 1993 in Nida, und 1998 in Vilnius die „Bernsteinmuseum – Galerien“. Diese beiden Galerien begannen den Bernstein als neuen Werkstoff zu propagieren und Künstler, die mit Bernstein arbeiteten, zu einem Kreis zu versammeln. In den Galerien wurden die Werke der Künstler Birutė Stulgaitė, Vytautas Matulionis, Žilvinas Bautrėnas, Sigitas Virpilaitis, Vaidilutė Vidugirytė und Jonas Balčiūnas, Eimantas Ludavičius, Vitalijus Milkintas, Solveiga Krivičienė, Indrė und Redas Diržiai, Ąžuolas Vaitukaitis und vieler anderer ausgestellt. Nach der Idee von Hermann Blode wurdeim Jahre 1996 in der Nähe der „Bernsteinmuseum – Galerie“ in Nida das Künstlerhaus gebaut. Das Haus ist zum Mekka von Kunsthandwerkern und Künstlern aus aller Welt geworden. Es gibt ihnen die Möglichkeit, hier zu arbeiten und nach neuen Darstellungsarten des Bernsteins zu suchen. Hier haben schon Künstler aus Litauen, Finnland, den Niederlanden, Estland, der Ukraine, Island, Frankreich und Polen, Studenten und Dozenten der Kunstakademien aus Vilnius, Lodz oder Tallin gearbeitet und Ausstellungen veranstaltet. Im Jahre 1999 bekam die Galerie eine Einladung, am internationalen Bernsteinwettbewerb der Baltischen Länder teilzunehmen. Nach der Auswahl nahmen acht von 25 Künstlern an dem Wettbewerb teil. Das Künstlerpaar J. Balčiūnas und V. Vidugirytė erreichte den dritten Platz. Der Halsschmuck „Gold und Bernstein“ des litauischen Künstlers S. Virpilaitis gewann bei dem internationalen Bernsteinwettbewerb in Ribnitz-Damgarten in Deutschland einen Grand Prix. Um das Wissen über den Bernstein zu verbreiten, wurde die Wanderausstellung „Der Baltische Bernstein: Geschichte und Design“ geschaffen, die aus vier Teilen besteht: einem historischen und einem archäologischen Teil, einer Präsentation der Werke der zeitgenössischen Künstler B. Stulgaitė, V. Matulionis, Ž. Bautrėnas, A. Vaitukaitis, S. Virpilaitis, J. Balčiūnas und V. Vidugirytė und einer Kunsthandwerksabteilung. Diese Ausstellung wurde schon in Island, Kanada, Belgien (in dem vom Europäischen Parlament organisierten Projekt, das die Völker aus Mittel- und Osteuropa vorstellte), in den Vereinigten Staaten von Amerika (Washington, Chicago), in dem Wittorianmuseum in Italien gezeigt. Sie war in allen Ländern überaus erfolgreich, und Kazimieras und Virginija Mizgiriai wurden als Botschafter Litauens bezeichnet. Die Ausstellung wiegt mit allen Kunstwerken etwa 700 Kilo und nimmt eine Fläche von 120 m ein. Momentan ist sie in der Bernsteingalerie „Kryžių kalnas“ zu sehen.

Man darf also behaupten, dass der Bernstein in Litauen zur Zeit eine großartige künstlerische Wiederbelebung erfährt.